Interview mit Erhard Grundl

Das Interview mit Erhard, der auf der letzten Bezirksversammlung der niederbayerischen Grünen angekündigt hatte, für den OB-Posten in Straubing zu kandidieren, lief unter etwas widrigen Umständen ab. Wir hatten es uns im Außenbereich des traditionsreichen Straubinger Café Krönner bei Kaffee und Tee gemütlich gemacht. Nach kurzer Zeit postierte sich eine Blasmusikkapelle am Stadtturm und spielte ein paar Stücke, die unsere Kommunikation erheblich erschwerten. Danach drohte der heftig einsetzende Regen, meine Notizen aufzuweichen, was uns zu einem Platzwechsel zwang. Trotzdem war es ein aufschlussreiches Interview und ein anregendes Gespräch.

KD: Erhard, du warst zwei Legislaturperioden lang  MdB, hast aber bei der letzten Bundestagswahl nicht mehr kandidiert. Was machst du jetzt und was hat dich bewogen, deinen Hut für die OB-Kandidatur in den Ring zu werfen?

EG: Die Demokratie lebt davon, dass Leute nicht an ihren Sesseln kleben.  Besonders dann, wenn die Politik zum Beruf wird. Vor meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter war ich selbstständig. Diese Selbstständigkeit hat „geruht“ und was ich jetzt mache, ist, mein Business im Musikvertrieb wieder aufzubauen.

Ich bin ja relativ spät, mit 54 Jahren, Bundestagsabgeordneter geworden und es hat eigentlich nicht zu meiner Lebensplanung gehört. Als ich 2017 gewählt wurde, war für mich damals schon klar, dass ich nicht zu denen gehören wollte, die aus dem Parlament herausgetragen werden müssen. Aber ich habe es – besonders in den 3½ Regierungsjahren – sehr genossen, politisch zu gestalten und Strukturen zu verbessern. Und genau das möchte ich in Straubing weiterhin tun. Die Erfahrungen, die ich als Abgeordneter, besonders als Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, sammeln konnte, möchte ich natürlich nicht missen.

KD: Was sind denn für dich die drei TOP-Themen der Straubinger Tagespolitik, die du als OB angehen würdest?

EG: Ich möchte erst einmal vorwegschicken, dass ich noch nicht offizieller OB-Kandidat der Straubinger Grünen bin, geschweige denn Oberbürgermeister. Da müssen wir zunächst die Aufstellungsversammlung abwarten und dann die Wahl. Aber das aktuelle Beispiel Martin Heilig in Würzburg hat gezeigt, dass die Grünen auch OB-Stühle erobern können. Bei uns in Straubing haben wir die besondere Situation, dass der Amtsinhaber seit 17 Jahren regiert. Es wäre völlig unglaubwürdig, alles zu kritisieren, was in dieser langen Zeit passiert ist.  Das werde ich als Kandidat auch nicht machen. Aber es gibt zweifellos auch Bedarf für eine Aufbruchstimmung und dafür werde ich arbeiten. Wenn ich mich jetzt auf drei Sachen beschränken muss, sehe ich den Klimaschutz, die Förderung der Stadtgemeinschaft und die „Stärkung von Straubings Stärken“ als wichtige Themen für Straubings Zukunft.

KD: Gehen wir es bitte Punkt für Punkt durch. Welche Maßnahmen siehst du beim Klimaschutz?

EG: Wir müssen den Klimaschutz in unserem ganz eigenen Interesse vorantreiben. Es gibt auf lokaler Ebene einige Möglichkeiten, durch kommunale Förderprogramme noch aktiver zu werden. Dringender Handlungsbedarf besteht bei der Stadtbegrünung. Gerade in der Innenstadt ist das Mikroklima an heißen Tagen unerträglich. Man braucht nur über den Stadtplatz zu gehen.

Ich bin Fan des 3/30/300-Prinzips. Man soll 3 Bäume von der eigenen Wohnung aus sehen können, 30% der unmittelbaren Nachbarschaft sollen von Baumkronen oder Vegetation überdeckt sein und von überall sollen es mindestens 300 Meter bis zur nächsten öffentlichen Grünfläche oder Park sein. ES GIBT keine genauen Zahlen, aber in einigen TEILEN STRAUBINGS sind wir BESTIMMT gar nicht so weit weg von diesen Werten. In der Innenstadt muss sich jedoch dringend etwas tun, und da müssen auch Bedenken der unteren Denkmalschutzbehörde mal hintenanstehen. Denn Klimaschutz ist Menschenschutz.

KD: Siehst du denn auch Möglichkeiten, Anreize für die Bürger*innen zu setzen, sich am Klimaschutz zu beteiligen? Es gibt ja z.B. eine kommunale Förderung zur Entsiegelung von Höfen und Freiflächen.

EG: Ja, das ist eine gute Maßnahme, die wir als Grüne Stadtratsfraktion unterstützt haben. Man könnte beispielsweise auch private PV-Anlagen fördern, sollte aber auch schauen, dass wir mit der Förderung Menschen erreichen, die kein eigenes Haus haben. Aktuell scheitert vieles an der schlechten Finanzsituation der Stadt. Aber wir müssen für eine gute Zukunft gerade jetzt investieren. Meine letzte Amtshandlung als Bundestagsabgeordneter war es, das 500 Milliarden-Sondervermögen mit auf den Weg zu bringen. Wir haben es lange gefordert gehabt, aber solange die CSU-Abgeordneten in der Opposition waren, wollten sie nichts davon wissen. Jetzt ist es wichtig sicherzustellen, dass dieses Geld auch entsprechend bei den Kommunen, bei uns in Straubing ankommt. Gerade CSU und Freie Wähler in der Bayerischen Staatsregierung sitzen leider heute noch auf dem Geld, das sie von der Ampel-Regierung zur Unterstützung der Kommunen bekommen haben. Die gesamte Straubinger CSU ist dabei leider immer als Bettvorleger ihres Parteichefs aufgetreten. Es gab vielleicht blumige Reden, die die Finanzsituation beklagt haben, aber gegenüber Söder durchsetzen konnten sie sich nie. Dieses fehlende Durchsetzungsvermögen, das ist schlecht für unsere Stadt.

KD: Was verstehst du unter dem zweiten TOP-Thema, der Förderung der Stadtgemeinschaft?

EG: Dieses Thema hat mehrere Ebenen. Da ist zum einen die Wohnraumsituation. Es gibt zu wenig Wohnraum für Menschen mit wenig Geld. Gerade Familien spüren diesen Druck. Hier sind die Lebensrealitäten sehr unterschiedlich. Manche können sich nicht vorstellen, wie eingeschränkt andere Straubingerinnen und Straubinger leben müssen. In diesem Zusammenhang halte ich z.B. die 20jährige Sozialbindung beim staatlich geförderten Wohnbau für viel zu kurz. Das kann die Stadt zwar nicht allein entscheiden, aber man kann sich bei der Staatsregierung nachdrücklich für eine Verlängerung auf z.B. 40 Jahre einsetzen. Dafür werden wir uns Mitstreiterinnen und Mitstreiter in ganz Bayern suchen.

In Straubing leben ungefähr 50.000 Menschen. Mir ist es wichtig, Politik zu machen, die allen hilft und die niemanden ausschließt. Im Bundestagswahlkampf 2017 habe ich ganz gezielt Gespräch mit Leuten an sogenannten „sozialen Brennpunkte“ unserer Stadt gesucht. Wohnblocks, wo die Namen mit Filzstift auf die Postkästen geschrieben werden und wo diese Postkästen überquellen, weil jeder Brief eine schlechte Nachricht beinhalten könnte. Ich bin mit den Leuten ins Gespräch gekommen, weil ich mich nicht abwimmeln lasse. Und ich bin auch meine Flyer losgeworden, obwohl ich Realist genug bin, um zu wissen, dass die wahrscheinlich keinen Grünen wählen. Dass sie wahrscheinlich ohnehin überhaupt nicht zur Wahl gehen werden. An einem solchen Tag war ich abends in unserem Stadttheater bei einer super Inszenierung von „A Clockwork Orange“ von Andreas Wiedermann.  Ich war da, meine Frau war da und mit uns auch die ca. 75 Leute, die in Straubing das kulturelle Leben bestimmen. Ich habe mir gedacht, Clockwork Orange, Mensch, das würde auch den Leuten gefallen, mit denen ich am Nachmittag gesprochen habe. Aber natürlich kämen die nie auf die Idee, ins Stadttheater zu gehen. Ja, eine Frage des Geldes beim Eintritt, aber nicht nur. Ich bin überzeugt, dass es viel mehr an Schranken liegt, die im Kopf verankert sind. Diese Schranken aufzubrechen, überhaupt diese „Blasen“ zu überwinden. Das ist entscheidend für unser Zusammenleben und darauf möchte ich als Oberbürgermeister ein Gewicht legen. Das halte ich für überfällig.

KD: Und was gehört für dich zum dritten Komplex, der Stärken-Stärkung?

EG: In Bayern ist Straubing für das Gäubodenvolksfest bekannt. Gerade im Bereich Nachhaltigkeit gibt es Möglichkeiten, die wir nutzen können, um das Gäubodenfest werbewirksam fit für die Zukunft zu machen und es als Volksfest für die gesamte Bevölkerung wieder attraktiv zu machen. Deutschlandweit sind es die Straubing Tigers, die die Stadt auf die Landkarte bringen und die identitätsstiftend für unsere Stadtgemeinschaft sind. Das ist ein Pfund, mit dem wir weiter wuchern können. Die Stadt hat den Klub über die Jahre unterstützt, beispielsweise bei der energetischen Ertüchtigung des Eisstadions. Die Fans der anderen DEL-Klubs begleiten ihre Teams auch zu Auswärtsspielen und lassen Geld in der Stadt. In Straubing gibt es beim Sport viel Potenzial, z.B. im Volleyball, Boxen oder beim American Football, welches hier noch zu heben ist. Da rede ich aber nicht nur vom Spitzensport. Alle Vereine in Straubing sind wichtig und ich freue mich, dass hier auch die große Mehrheit des Stadtrats einig ist.

KD: Machen wir nochmal einen Schwenk zur Bundespolitik. Du hast das Sondervermögen zur Stärkung der Kommunen verabschiedet. Wie sollte Straubing daran partizipieren?

EG: Was manche, die gerne mit Förderbescheiden wedeln, vergessen, ist, dass es sich um Steuergeld handelt. Auch das Sondervermögen wird über Steuern von den Bürgerinnen und Bürgern refinanziert werden müssen. Ich bin für strukturelle Investitionen. Eine strukturelle Förderung war zum Beispiel der Kulturpass für 18jährige, den CSU und SPD jetzt wieder abgeschafft haben. Von dieser Förderung haben aber nicht nur junge Leute profitiert, die zum Beispiel durch die Covid-Maßnahmen sehr eingeschränkt waren. Das Geld ist auch direkt den Kinos, den Buchhandlungen usw. zugutegekommen.

KD: Ein zweites Sondervermögen adressiert neben der Verteidigungsfähigkeit auch den Zivilschutz. Straubing liegt an der Donau. Da kommt es flussauf, flussab gerade zu absurden Interessenskonflikten um Polder, Deiche und Co. Zudem wurde im März bekannt, dass es in den Landkreisen Deggendorf und Straubing-Bogen zu Hunderten von Baugenehmigungen in Hochwassergebieten gekommen ist. Wie schätzt du die Situation in Straubing ein?

EG: Das ist ein Thema, wo ich am Urteilsvermögen einiger Beteiligter zweifle. Und auch am Durchsetzungsvermögen. Ich denke, dass Straubing bisher mit einem blauen Auge davongekommen ist, was in der Zukunft aber nicht so bleiben muss. Ich sehe bisher keinen nachhaltigen Hochwasserschutz, der an der Donau ja auch von der Staatsregierung koordiniert werden sollte. Hier kann man von kommunaler Seite nur immer wieder Druck auf die Herren Söder und Aiwanger machen, dass es endlich weitergeht. Und bei diesem Thema muss auch mal ein Knoten durchgehauen werden, dass Einzelinteressen hinter dem Gemeinwohl zurückstehen müssen. Jedenfalls dürfen wir in Zukunft keine Baugenehmigungen in Risikogebieten mehr erteilen. Wenn wir neuen Wohnraum schaffen, sollten wir primär in Gegenden gehen, wo wir nachverdichten können.

KD: Kommen wir nochmal auf ein klassisches grünes Thema: Müllvermeidung. Die Gelbe Tonne kommt ja nach einer Abstimmung unter der Bevölkerung nicht. Sie hätte vielleicht zu einer höheren Recycling-Quote geführt, vermeidet aber nicht unbedingt Müll. Welche Möglichkeiten siehst du in Straubing?

EG: Ich kann die Ablehnung der Gelben Tonne für Straubing gut nachvollziehen. Das heißt nämlich, dass sich die Leute mit ihrem Müll auseinandersetzen müssen. Sicher, die Fahrt zum Wertstoffhof ist eine zu überwindende Schwelle, aber es wird ein Bewusstsein geschaffen, weil die Menschen den Inhalt ihrer Restmülltonne kleinhalten wollen. Ich habe vor ein paar Wochen am Wertstoffhof Lose für den FTSV verkauft und da war ganz offensichtlich, dass die Wertstoffhöfe auch als Treffpunkte nützlich sind, wo die Leute zusammenkommen. Womit ich wieder beim TOP-Thema 2, der Stärkung der Stadtgemeinschaft bin. Entscheidend ist am Ende, wie du ja formuliert hast, die Müllvermeidung, und da können die Leute mit ihrem Einkaufsverhalten viel bewirken. Zum Beispiel beim Gartler-Markt.

KD: Erhard, vielen Dank für das informative und offene Gespräch.

Interviewführung und Text: K. Diekmann